Anandas Tod
Als Ananda über achtzig war, machte sie sich oft über meine Zukunft Gedanken. Sie war besorgt um mein weiteres Wohlergehen nach ihrem Tod. Sie sah es als eine ihrer Lebensaufgaben an, die Basis für mein irdisches Glück zu schaffen und mir dabei gleichzeitig zu einer höchstmöglichen spirituellen Entwicklung zu verhelfen. Beides war nach ihrer (und meiner) Auffassung gut miteinander vereinbar. So lange sie am Leben war, konnte sie vieles lenken und die Weichen für die Zukunft stellen.
Die Absicherung meiner Zukunft lag nach ihrer Meinung in einer fest fundierten Yogagemeinschaft, die mir einen Lebensinhalt als Yogalehrer geben würde als auch eine Unterstützung in den vielfältigen Gegebenheiten des Alltags von der Haushaltsführung bis zum Einkauf. Für die finanzielle Absicherung war durch meine berufliche Arbeit gesorgt. Dieser Aspekt war für Ananda somit kein Problem.
Für eine Yogagemeinschaft, wie sie von uns geführt wurde, gibt es einen Schwellenwert in der Größe. Erst ab einer gewissen Anzahl an Schülern und Yogis ist sie selbsttragend. Unterhalb des Schwellenwertes wird ein Yogakreis durch den immer vorhandenen Prozentsatz passiver Zuhörer verdünnt; sie erlahmt und erstarrt. Es bedarf dynamischer Mitarbeiter zum Ausbau einer Organisation. Auch benötigt man musikalische Schüler, welche die Stunden instrumentell oder durch sakrale Gesänge (Bhajans) beleben.
Ananda war sich der Existenz und Bedeutung eines solchen Schwellenwertes bewusst. Durch Jahre hatte sie darauf hingearbeitet und es geschafft, alle diese Bedingungen zu erfüllen.
Ihre Zukunftserwartungen zerbrachen, als ganz plötzlich, innerhalb von drei bis vier Monaten die Gemeinschaft verfiel. Es war ein unerwarteter Lawineneffekt, der sich selbst beschleunigte und nicht mehr zu kontrollieren war. Ananda war verzweifelt.
Es war Mai 1984 als der engelgleiche Guru mit folgenden Worten Ananda zu trösten versuchte:
Du sollst nicht weinen, wenn ein Haus zusammen gebrochen ist, solange die Grundmauern noch stehen. Lasse es Swami Vayuananda wieder befestigen. Zwinge ihm nichts auf. Im Herbst werden viele Menschen kommen und darunter solche, welche für den Yoga fähig sind. Man darf sie nicht übersehen. Eine kleine Gemeinschaft ist auch schön und die Schüler lieben den Swami. Zwinge ihm nichts auf.
Ananda versuchte noch einmal eine Gemeinschaft aufzubauen. Tatsächlich kamen im Herbst eine größere Anzahl von Interessenten. Neben den wenigen verbliebenen Altschülern entstand ein Kreis von zirka 30 neuen Schülern. Ananda hatte kämpfen gelernt in ihrem Leben.
Zu ihrem großen Leidwesen machte ich nicht mit. So groß meine Sehnsucht und mein Glaube an eine Gemeinschaft von Yogis als äußere und innere Heimat war, so groß war meine Enttäuschung und Verzweiflung nach dem Niedergang eben dieser Gemeinschaft. Ich hatte den Glauben an die Möglichkeit eines idealistischen Zusammenlebens von Yogis in unserer Zivilisation verloren. So unterrichtete ich ausschließlich die verbliebenen Altyogis und lehnte die Unterweisung von neuen Schülern ab.
Ananda machte weiter, in der Hoffnung mir neuen Zukunftsglauben zu geben, sobald ich erkennen würde, dass ein neuer Kreis mit guten Schülern heran wuchs. Ein begabter Altyogi stand ihr zur Seite und unterstützte sie nach allen seinen Kräften.
Im Mai 1985 sah Ananda folgendes:
Der Raum weitete sich und hellviolettes Licht erfüllte ihn. Es erschien Paramhamsa Yogananda in hellviolettem, seidenem Gewand. Er hielt einen langen, breiten Streifen Papier, worauf ungefähr folgendes stand:
Die alte Gemeinschaft ist zwar zerbrochen und ihr habt deshalb sehr viel gelitten, aber gebt nicht auf. Nehmt Schüler auf, seid beharrlich und zuversichtlich. Was ihr getan habt war nicht umsonst. Ich segne euch.
Einige Monate später begann Ananda zu kränkeln. Man diagnostizierte Krebs in fortgeschrittenem Stadium. Ananda wollte zu Hause sterben.
Zu Hause, dort wo mit dem Yogaraum das Zentrum und die Wurzel der einst großen Gemeinschaft sich befand, lag sie im Bett und erwartete ihren Tod. In diesen ihren letzten Monaten kamen alle Yogis der früheren Gemeinschaft sie besuchen. Sie kamen täglich und blieben durch Stunden bei ihr. Viele legten hierzu weite Reisen per Bahn oder Auto zurück. Der zuvor ausgestorbene Ashram war wieder voll.
Nach ein einhalb Jahren waren die Yogis wieder da, als hätte es nie eine Zeit der Trennung gegeben. Bis spät am Abend war immer einer oder mehrere von ihnen am Krankenbett. Manchmal sogar über Nacht.
Die Yogis aus dem Altashram saßen bei ihr, streichelten ihre Hand und sprachen mit ihr. Ananda fühlte sich in der Obhut der Yogis geborgen und war sogar glücklich.
Die Yogis gingen wie eh und je in der Wohnung ein und aus, wir begrüßten und umarmten uns und sprachen über dies und jenes. Wir mochten einander und waren durch das Schicksal wieder vereint. So weit ich sah, hatten alle hohe Ideale mit in ihr Leben genommen, hüteten sie und setzten ihr spirituelles Leben auf anderen Wegen fort. Eine spirituelle Lebensausrichtung war allen selbstverständlich.
Ananda wurde schwächer und schlief viel. Wenn sie wach war, sprach sie mit den Yogis oder blickte sie liebevoll und schweigend an. Sie war bereits teilweise in einer jenseitigen Welt. Ihre Ausstrahlung war verklärt und abgehoben.
Der Körper Anandas ging seinem Ende zu, ihre Seele aber schien zufrieden zu sein und verklärte sich. Die Yogis sahen in ihr eine sich verabschiedende, spirituelle Vergangenheit. Sie war ein Idol, das von ihnen ging.
In unvergänglicher Liebe, Vayu