1964 als ich Ananda erstmals begegnete, war Yoga noch wenig bekannt. Ich hatte lange nach einem Guru gesucht, ohne einen zu finden. Erst als ich nach Jahren im Ausland wieder zurück nach Wien, meine alte Heimat, kam, schien ich innerlich für den Beginn eines spirituellen Weges genug lebenserfahren und seelisch reif zu sein. Jetzt fand ich meinen Guru. Es war Ananda, meine spätere Adoptivmutter. Im Laufe der Zeit wurden wir uns beide eine gegenseitige Stütze im Leben. Es war ein Leben, das für mich ab dem Zeitpunkt meiner Begegnung mit Ananda einen guten Verlauf nahm. Ich wurde nicht mehr herumgestoßen, sondern hatte eine Heimat gefunden. Mein Leben erhielt einen Sinn und war voll begeisternder innerer Abenteuer. Ich begegnete Wundern, wie ich es zuvor nie für möglich gehalten hätte.
Was ich vermittelt bekam, war lebendiger Yoga und keineswegs eine traditionsverhaftete, starre Lehre. Es gab keine Gebote, die mir mein selbständiges Denken genommen hätten und keine heiligen Schriften, die mich als „Gottesbotschaft“ in ein Denkkorsett geschnürt hätten. Frei von Einschränkungen konnte ich forschen und entdecken, mir eine innere Welt erobern. Das hielt meine Begeisterung für Yoga lebendig und bereicherte mich durch innere Erlebnisse, die mir neue Dimensionen erschlossen. Erst viel später erkannte ich, dass ein solcher Yogalehrer, wie es Ananda war, nur selten zu finden ist. Ich bin dafür sehr dankbar.
Guru Ananda und ich waren im Charakter und in unserer Persönlichkeit sehr unterschiedlich und ebenso waren es unsere Interessen und Erfahrungen. Wir akzeptierten dies beide und erkannten darin eine Bereicherung, nicht nur für uns, sondern auch für all die Schüler, die wir gemeinsam unterwiesen. Wir setzten gemäß unserer unterschiedlichen Veranlagung unterschiedliche Schwerpunkte in Übungen und Lehre, und ermöglichten unseren Schülern dadurch ein reicheres und vielfältigeres Angebot. Zusammen bauten wir eine idealistisch gesinnte Yogagemeinschaft auf, ohne Kommerz und mit kostenlosem Unterricht. Wir verdienten uns unseren Lebensunterhalt eigenständig.
Eine blühende Yogagemeinschaft wuchs heran. Für ihre Organisation und Strukturierung war Ananda bestimmend. Sie verhalf der Yogagemeinschaft zu einer großartigen Entfaltung, mit begeisterten und idealistischen Menschen. Ihre Persönlichkeitsausstrahlung war derart stark, dass sie eine größere Anzahl von Menschen bleibend zu faszinieren vermochte. Sie hatte ein einmaliges Charisma.
In ihren letzten Lebensjahren engagierte sich Ananda intensivst in der Ausbildung ihrer Schüler und verausgabte sich darin bis zum Letzten. Sie entfaltete die Gemeinschaft der Yogis und Schüler zu einer Hochblüte.
Knapp vor ihrem Tod zerfiel die Gemeinschaft. Ananda war darüber erschüttert, verlor an Lebenskraft, kränkelte und starb zwei Jahre danach. Auch mir verursachte dieses Ereignis einen Schock und ich verlor meinen Glauben an die Treue der Menschen unserer Zeit. Es war genau dieser Glaube, der mir die Kraft gegeben hatte in der Arbeit für eine Gemeinschaft aufzugehen. Nunmehr sah ich die zerbrochene Yogagemeinschaft nur noch als ein vergängliches Experiment, das weder dem Druck der Zeit stand halten konnte, noch ohne das Charisma von Ananda zu existieren vermochte. Diese Einschätzung war als Folge der Enttäuschung überzeichnet, raubte mir aber die Kraft, eine Gemeinschaft weiter zu führen. Letztendlich lebt eine Yogagemeinschaft von der Begeisterung und dem Glauben des Gurus, der diese innere Kraft an die anderen weiter vermittelt. Dennoch, trotz der Enttäuschung, ich habe all die Yogaschüler des alten Ashrams geliebt und liebe sie nach wie vor.
Gelegentlich und im Laufe der Jahre immer seltener, treffe ich Yogis aus jener alten Zeit und sehe, dass ein inneres Band bestehen geblieben ist. Wie oft hat es sich bei zufälligen Begegnungen ereignet, dass wir uns umarmten und uns tief in die Augen blickten, fragend und suchend, wie es mit unserer Seele bestimmt sei. Wir tauschten unsere Lebensereignisse aus und verabschiedeten uns mit feuchten Augen. Wir winkten uns noch nach, wohl wissend, dass durch meine Kontaktscheu dies vielleicht das letzte Wiedersehen in unserem Leben war.
Vor einiger Zeit hatte ich einen Traum:
Hinter Ananda sah ich eine große Menschenmenge. Sie alle hatten von Ananda innere Schätze mitbekommen. Das war Anandas Lebenswerk. Es war eine feierliche Atmosphäre. Ich war über die Gunst des Schicksals tief bewegt, die mir erlaubt hatte in ihrer Nähe sein zu dürfen. Ich empfand dies als einmalige Fügung und große Ehre.
Dieser Traum gab mir den Anlass dieses Buch zu schreiben. Allerdings glückte mein Versuch nicht von Anfang an. Mein erster Ansatz bestand aus biographischen Erinnerungen, die ich mich bemühte in objektiver Sachlichkeit zusammen zu stellen. Das Ergebnis sprach mich innerlich nicht an, ohne dass mir klar war weshalb. Ich rätselte, und beschloss das Konzept abliegen zu lassen. Da hatte ich abermals einen Traum:
Ich stöberte im Traum in alten Briefen und fand eine Notiz, etwas größer als eine Postkarte. Sie enthielt in gut leserlicher Schrift biographische Daten von Ananda. Ich betrachtete den Text, als sich die Art meines Schauens plötzlich veränderte. Die Folge war, dass ich eine tiefer liegende Schicht sehen konnte, die wie eine Geheimschrift unter der physisch sichtbaren Schrift lag . Ich fühlte, dass ich unverhofft eine bislang verborgene Botschaft vor mir hatte, eine Art Seelenbiographie, für die nicht Jahreszahlen, sondern Gefühlstiefen zählen. In dem Augenblick wusste ich: nicht die Beschreibung des äußeren Lebensrahmens ist Guru Ananda wichtig. Schon immer erschienen ihr nicht die Lebensereignisse, sondern das, was man daraus lernen konnte bedeutsam. Der Sinn des Lebens bestand ihrer Meinung nach nicht im Ablauf, sondern in der inneren Reifung. Ich sollte nicht ihr äußeres, vergängliches Leben weitergeben, sondern das, was ihr das Leben als Ernte einbrachte.
Noch war mir nicht klar wie ich eine solche Lebensdarstellung gestalten könnte. Es ist einfach Ereignisse zu beschreiben. Schwerer ist es, das innere Echo dieser Ereignisse zu vermitteln, die Emotionen und inneren Zwiesprachen in Träumen und Begegnungen mit Jenseitigen.
Ich verwarf die alten Texte und schrieb fast alles neu. Hierbei erkannte ich, dass mein Leben derart mit Anandas Leben verflochten war, dass es unmöglich wäre eine Biographie von ihr zu schreiben, ohne dass es gleichzeitig auch meine eigene Biographie werden würde.
Ich schreckte zunächst davor zurück, schließlich war Guru Ananda ein komplizierter und zudem, was das eigene Gefühlsleben anbelangt, ein verschlossener Mensch. „Kommt Zeit, kommt Rat“, dachte ich.
Da hatte ich das Gefühl einer Präsenz von Ananda und ihre wortlose Bitte, den alten Text noch einmal durchzulesen, ohne zu zögern und ohne auf eine Inspiration zu warten. Also las ich die Notizen noch einmal durch und zugleich wusste ich genau was fehlte und was zu ändern wäre. Ich erkannte an so mancher Beschreibung äußerer Ereignisse dass sie aus der Sicht eines spirituellen Lebens bedeutungslos waren. Andererseits gab es „Kleinigkeiten“, die zuvor nicht erwähnenswert erschienen, in Wirklichkeit für die Seele jedoch von Tragweite waren. Es wurde mir zunehmend klar: „Wir sind ewig, sind wandernde Seelen, die nur kurz als Gäste auf Erden weilen. Wenn wir das außer Acht lassen, haben wir Wurzeln und Sinn des Lebens übersehen.“
Ich versuchte die neuen Perspektiven einzubringen. Zuletzt fehlten mir Bilder – wie klar sieht man doch an dem sich ändernden Antlitz die Entwicklung der Persönlichkeit. Unvorhergesehen stand ich vor einem Problem: fast alle Fotos, die ich besitze, sind Gruppenaufnahmen in kleinem Bildformat. Aus diesen Aufnahmen ein Portraitbild herauszunehmen und zu vergrößern ist unmöglich. Alle Versuche brachten unbrauchbare, verschwommene Fotos. So versuchte ich mittels Zeichnungen die Schicksalsprägungen der sich im Laufe der Jahre ändernden Züge Anandas zu skizzieren.
Wir wandern durch Zeiten,
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Das Buch endet mit dem Tod Anandas und dem Ende ihres Lebenswerkes, dem Ende eines Traumes von einer Gemeinschaft von Yogis. Yogis, welche imstande wären, durch vorgelebte Ideale von den Vorzügen des Yoga zu überzeugen. Der Traum zerbrach, doch einige Funken der Begeisterung leben in den Herzen Weniger weiter. Inzwischen gibt es eine neue Generation von Yoginis und Yogis. Wenige sind es nur, doch begabt und voller Idealismus. Noch weiß niemand, ob die glimmenden Funken in ihren Herzen sich einmal zu neuem Feuer entfachen werden, sich die Flamme überträgt und die Yogagemeinschaft, die damals unter Ananda ihren Anfang fand, neu entstehen wird.