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Der Tod des Künstlers R.R. Ballabene

Der Gesundheitszustand des Meisters verschlechterte sich rasch. Er litt sehr darunter. Abends wurde es zu seiner Gewohnheit, sich an ein kleines Tischchen zu setzen, eine Kerze anzuzünden und aus der Bibel die Psalmen Davids zu lesen. Sie gaben ihm viel Trost. Speziell der Psalm „Der Herr ist mein Hirte“. Unter Tränen faltete er die Hände und bat Gott, ihn endlich von diesem Leben zu erlösen.

Der Meister im letzten Lebensjahr

Es kam der Sommer und seine Gebete wurden erhört. Er verlor plötzlich alle Beziehung zur Realität. Wir brachten ihn ins Spital. Dort redete er in allerlei Sprachen wie Altgriechisch, Latein, Ungarisch, Tschechisch, jedoch kaum Deutsch und niemand konnte ihn verstehen. Unter den Patienten war ein Ungar, der war der einzige, der sich mit ihm unterhalten konnte und diente als Dolmetsch. Ich kann mich erinnern, wie er an einem kleinen Tisch saß, in mir unverständlichen Sprachen redete, einige Bögen Papier vor sich hatte und zeichnete. Er hatte mich nicht mehr erkannt, als ich ihn besuchte, aber er zeichnete noch.
Nach drei Tagen fiel er ins Koma. Ich besuchte ihn täglich. Nach einem Monat verstarb er.

ein reiches Leben ging zu Ende

Nach seinem Tod blieb für uns alle eine große Leere. Niemand von uns konnte es so richtig fassen. Stundenlang saß Ananda in ihrem Stuhl und starrte in den Raum.

Der Meister hatte immer eine entscheidende Rolle in ihrem Leben gespielt und sein Einfluss reichte selbst tief in den Yogaunterricht hinein. Es war logisch, dass sich nun vieles ändern würde. Allerdings war uns das zum augenblicklichen Zeitpunkt nicht klar und es gab auch keinerlei Zukunftspläne.

Ananda begann vor Kummer zu kränkeln und Herzbeschwerden stellten sich ein. Die erste Zeit reduzierte sie ihre Tätigkeiten auf die wichtigsten Handlungen des Lebensunterhaltes. Sonst saß sie tatenlos in der Wohnung herum, was die Situation keineswegs verbesserte. Ich musste mich um sie kümmern und ließ mir von meinen Dienstgebern ein halbes Karenzjahr frei geben.
Ich war nun den ganzen Tag um sie. Dennoch besserten sich ihre Beschwerden nicht. Es war zu befürchten, dass ihr gesamter Organismus zusammen brechen könnte.
Zu den Herzbeschwerden kamen geschwollene Füße. Das Wasser stieg gefährlich hoch. Ich sorgte dafür, dass sie täglich ihre vom Arzt verschriebenen Tabletten nahm, von selbst hätte sie es nicht getan.

Ananda brach zusammen und ich fürchtete um ihr Leben

Ananda siechte dahin. Als sie sich ein wenig aufzurichten schien, bekam sie unerwartet Koliken. Der Hausarzt empfahl ihr eine Spitalsuntersuchung.

Die Ursachen der Kolik wurden zwar nicht geklärt, aber Ananda erwachte wieder zu neuer Lebensdynamik. Das kam so:
Für Ananda war immer das Vertrauen zu einem Arzt entscheidend, nur dann war sie bereit Ratschläge anzunehmen. Das war in der Klinik, in welche Ananda kam, wohl nicht der Fall. Der Primarius war begeisterter Jäger. Jäger widerten Ananda an. Sie konnte es nicht verstehen, dass Menschen es schön finden könnten, ein Reh zu töten. Der Primarius hasste Ananda ebenfalls. Er ging sogar so weit, bei Ananda eine Spindkontrolle durchzuführen wie beim Militär. Medizinische Erfolge hatte er keine, was die Situation auch nicht gerade vereinfachte. Da griff Ananda zu ihren eigenen Hausmitteln. Ich musste ihr einen Kilo Topfen (Quark) besorgen. Diesen legte sie unter ihr Patientenhemd auf den Bauch, um die Giftstoffe heraus zu ziehen.

Der Primarius kam, begleitet von einer Krankenschwester, ging schweigend, ohne sich nach dem Befinden zu erkundigen, zu Ananda und griff unter die Decke, um den Bauch abzutasten. Jäh fuhr er in die Höhe und zog eine vom Quark dick beschmierte Hand hervor. „Was, was ist das?“ stammelte er. Die Krankenschwester strahlte erheitert auf. Der Primarius begann zu brüllen. In der Folge bemühte er sich, das Leben für Ananda zur Hölle zu machen. Also nahmen wir unsere Sachen, unterschrieben beim Portier einen Revers und stahlen uns bei der Tür hinaus. Wie auf der Flucht aus dem Gefängnis. Sicher assoziierte das Ananda so.

Ab nun fuhren wir jeden Tag in den Prater, um dort entlang der Wiesen und Teichufer spazieren zu gehen. Das stärkte Ananda allmählich.

Als das halbe Karenzjahr vergangen war, reduzierte ich meine Arbeitszeit von ganztags auf halbtags. Meine Chefin ermöglichte mir dies entgegenkommender Weise. Bis zum Ende meines Arbeitslebens habe ich nur noch halbtags gearbeitet. Die zweite Hälfte des Tages widmete ich dem Yoga. Dieser glückliche Lebensumstand ist nach wie vor für mich eines der größten Geschenke im Leben. Ich habe den halben freien Tag reichlich genützt. Es ist keineswegs so, dass ich die Arbeit nicht schön gefunden hätte, im Gegenteil, ich liebte meine Tätigkeit im Labor. Ich bin dennoch dankbar dafür, dass mir eine Halbtagstätigkeit ermöglicht wurde, weil ich dadurch viel Zeit hatte zu lesen, zu lernen und mich innerlich zu entfalten. Ich habe mich bemüht dieses Wissen an andere weiter zu geben, sowohl als Yogalehrer als auch später im Internet.

Beide Tageshälften ergänzten einander. Meine Tätigkeit in der naturwissenschaftlichen Forschung schulte mein Denken und war für meine spirituelle Entwicklung genau so wichtig wie Meditationen. Forschung und Yoga hielten sich wunderbar im Gleichgewicht und sorgten für eine geistige Entwicklung, die lebensnah und frei von der Gefahr war, den Boden der Realität unter den Füßen zu verlieren.

Allmählich erholte sich Ananda und ein Jahr nach dem Tod des Meisters begann sie wieder mit dem Yogaunterricht.