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Wunder und eine Welt der Mystik

Ich war glücklich einen Guru gefunden zu haben. Der alte Traum einer spirituellen Heimat schien sich mir endlich zu erfüllen. Es war mir als wäre ich neu geboren. Oft saß ich auf einer Parkbank und in meinem Herzen näherten sich Yogis tagtraumartig aus meiner verklärten inneren Heimat. Tränen rannen mir über die Wangen, mein Herz wurde weich und von unsäglicher Liebe und Sehnsucht erfüllt.

Um diese Zeit hatte ich folgendes Erlebnis:

Der Traum entsprach voll und ganz meinem damaligen und auch noch jetzigem Denken und Fühlen. Ich hatte lange auf den Yoga gewartet. Nun da ich ihn hatte, ließ ich ihn nicht mehr los. Jetzt, da ich einen Guru gefunden hatte, ließ ich mich durch nichts vom Weg abhalten oder fort locken. Was sollten mir die Güter einer vergänglichen Welt.

Guru Ananda war ihrem Wesen nach bestens geeignet mir eine Welt von Idealen und religiösen Wundern näher zu bringen. Deshalb, weil sie selbst aus einer tiefreligiösen Welt kam, die mit der nach materiellen Gütern und Wünschen ausgerichteten Stadtkultur nichts zu tun hatte.

Ananda entstammte einer chassidischen (jüdischer, mystischer Glaubenszweig) Familie. Ihr Großvater war Oberrabbiner. Er galt als „Wunderrabbi“ und erweckte in Ananda das Interesse für die heiligen Schriften. Ab dem Alter von fünf Jahren las Ananda diese heimlich im Bett bei Kerzenschein. Ihr Großvater steckte ihr Kerzen und Schriften zu. Auch übersah er gleichsam, dass sie gelegentlich „verborgen“ unter dem großen Tisch saß, und den Belehrungen im Kreise der Bocher (Talmudschülern) zuhörte. Er schätzte ihr Interesse und liebte sie so, dass er solch kleine Verletzungen der Vorschriften übersah.

Der Großvater, Rabbi Abraham Wassermann

    In einem meiner Träume saß ich mit Chassidim an einer langen Holztafel. Festliches Essen war auf dem Tisch. Es war Bamitzwa. Nach dem Essen zogen sich die Männer in ein Zimmer zurück, um fromme Gespräche zu führen. Da öffnete sich die Tür und Anandas Großvater trat ein. Wir alle, die Chassidim und ich, mussten unsere Augen senken, um nicht von seinem Licht geblendet zu werden.

Wunder und Gerüchte festigten in Ananda die Aussagen der heiligen Schriften. Es gab zum Beispiel einen großen Mehlkrug, auf dem ein Broche (Segen) lag, so dass er nie leer wurde. Oder, so wurde erzählt, kam eines Tages ein Gemeindemitglied als Bittsteller zum Großvater, verängstigt über ein Ächzen und Stöhnen, das in der Wohnstube oft zu hören war. Der Großvater suchte das Haus auf. Dort stellte er sich in die Mitte des Raumes, schloss die Augen, fühlte in sich hinein und sprach laut „falle, falle“. Da tat sich ein Deckenbalken auf und ein Goldschatz fiel herunter.
„Er wurde auf unrechte Art erworben, deshalb fand die Seele keine Ruhe“, erklärte der Rabbi.
Eine Hälfte des Schatzes bekamen arme Leute aus der Gemeinde, die andere Hälfte durfte jener Mann behalten, der dort wohnte.

Es gab noch mehr solcher Erzählungen. Ananda hatte als Kind auch eigene Erlebnisse. Sie vertraute sich damals nur ihrem Großvater an. Der hörte bei solchen Gelegenheiten aufmerksam zu und tat ihre Erzählungen nicht als Kindergerede ab, wie die anderen. Eine der Erinnerungen Anandas fand ich besonders rührend:

Ananda verließ sehr früh die chassidische Familie in Polen und ging nach Tschechien. Bald danach verstarb ihr Großvater. Darüber erzählte sie:

Als ich erfuhr, dass mein Großvater, Rabbi Wassermann, in die andere Welt gegangen war, erlebte ich folgendes in zwei aufeinanderfolgenden Nächten:

Ich fühlte plötzlich wie etwas, das ebenfalls ich zu sein schien, aus mir heraus trat und zuerst zum Grab meines Großvaters reiste. Anschließend besuchte ich die Dorfstätten meiner Kindheit, wo ich alle Plätze aufsuchte, die mir lieb geworden waren. Wie lange der Zustand dauerte, weiß ich nicht; er wirkte aber den ganzen Tag. Die Nacht darauf trat ich wieder aus dem Körper und wieder besuchte ich alle Plätze meiner Kindheit, jedoch diesmal nicht allein. Ein strahlender jenseitiger Helfer war bei mir. Gegen Morgen schlüpfte dann mein Astralleib wieder in den Fleischkörper zurück.

Was blieb davon?
Ein Überflutetwerden von Erhobenseinszuständen und spontanes Hellfühlen.

Diese Astralwanderungen sind seither zu meinem zweiten Leben auf dem irdischen Plan geworden. Sie lassen sich durch nichts herbeiführen, sie kommen oft Monate nicht und dann wieder häufig.

Der jenseitige Helfer, der mich jetzt begleitet, ist derselbe wie damals vor Jahrzehnten, ich verehre und liebe ihn unaussprechlich. Er ist meine Brücke zum Jenseits, von welchem uns alle nur ein Schleier trennt.

Ananda war damals 16 Jahre alt und verdiente sich als freischaffende Journalistin ihren Unterhalt.

Ananda mit ca. 20 Jahren, strahlend dunkle Augen und schwarze Haare

Nach dem Krieg verschlug es Ananda mit ihrem Ehemann, dem Meister, nach Wien. Ein wichtiger Schritt des Schicksals, das uns auf diese Art örtlich näher brachte.

Zurück zu meiner Anfangszeit im Yoga. Für mich war Yoga eine geheimnisvolle Lehre, die, wenn wir es wagen die Fesseln der irdischen Konventionen zu sprengen, uns in ein Reich der Wunder eintreten lässt. Dies kann ich nunmehr mit Überzeugung aus der Erfahrung meines Lebens heraus bestätigen. Ich hatte es damals geahnt, deshalb hatte eine Yogaschülerschaft für mich eine derart große Bedeutung. Es ging dabei nicht nur um Lernen, sondern auch um Einbettung. Ich war der Ansicht, dass ich Yoga nicht anonym erlernen könne, etwa aus einem Buch oder durch Lehrer, die ohne Interesse an der Person der Lernenden ein Kursprogramm vortragen. Ein Buch legt man zur Seite und damit ist der Yogakontakt gleichsam wieder abgebrochen. Das gilt auch für einen Kursbetrieb. Man hat niemanden, den man bei plötzlich auftretenden Fragen zur Seite hätte, sondern muss bis zur nächsten Kursstunde warten, um dann eine oft kurze und nicht zufriedenstellende Antwort zu erhalten. Das wäre mir zu wenig gewesen. Ich wollte den Yoga nicht nur in mir erleben, sondern auch von ihm umgeben sein. Ich fühlte mich wie das Blatt eines Baumes, das an einem kleinen Zweig hängt, der seinerseits Teil eines größeren Astes ist. Das Kleinere ist mit dem Größeren verbunden bis zum Stamm. Ja, um leben zu können muss das Blatt mit dem Baum verbunden sein.

Hier eine Stelle aus einer Vorlesung von Ananda:

Ich war damals überzeugt von der Idee durch lange Zeit schon dem Yoga anzugehören und in einem jenseitigen Ashram meine wahre Heimat zu haben. Es war mein verlorenes Paradies, zu dem ich wieder zurück wollte. Ich sah das allerdings nicht im Detail, sondern eher verschwommen, etwa so:

In Träumen erklomm ich bisweilen eine steile Bergwand, hinauf zu einem Hochplateau. Dort in einem flachen Tal war ein Kloster und nicht weit davon meine Hütte:

Solche inneren Bilder hatten für mich eine größere Anziehungskraft als der Kampf um Status, Prestige und Position im Alltagsleben. All das, was viele Menschen sich so heiß ersehnen, war für mich vergänglich. Ein Monolog von Calderon bringt zum Ausdruck als was ich die Welt betrachtete (und noch immer betrachte):

Hätte ich damals die Möglichkeit gehabt mich in eine Yoga Einsiedelei zurück zu ziehen, so wäre dies die Erfüllung all meiner Träume gewesen. Ich hätte mich von der Welt zurück gezogen, um mich meinen mystischen Träumen hinzugeben. Allerdings wäre ich hierbei einer großen Illusion erlegen - nie wäre ich zu einer echten und bewährten All-Liebe gelangt, obwohl sie so nahe schien, und zwar deshalb, weil ich die Menschen aus diesen Träumen der Liebesverbundenheit ausgeklammert hätte. Liebe wäre ein abstrakter Zustand gewesen, ohne eine Bewährung durch die Begegnung. Ich hielt damals eine Eremitage als einen ungestörten Ort der Gottesnähe. Gott zu finden, indem man seiner Schöpfung den Rücken kehrt, ist vielleicht doch nicht der rechte Weg, wenngleich er sehr verlockend sein mag. Es war anderes vorgesehen: Das, was ich in meinem Leben erlernen sollte, war die Liebe zu den Menschen. Das jedoch war für mich nicht einfach und ich gebe zu, ich meide nach wie vor eine zu große Nähe zu den meisten Menschen, weil ich mich vor ihnen fürchte. Ich fürchte mich nicht verstanden zu werden und davor, dass das, was mir heilig ist in den Schmutz gezogen wird. Diese Furcht würde sich verlieren, wenn ich imstande wäre das göttliche Urbild aus den Menschen herausleuchten zu sehen. Das jedoch gelingt mir nur selten – womit ich noch weit von meinem Ziel entfernt bin.

Hierzu ein Klartraum, den ich in jener Zeit hatte:

Der Helltraum beschrieb meine damalige Situation treffend. Ich sah in meiner Nähe zu Babaji meine Yogaverwirklichung. Babaji war mir der Inbegriff von Liebe, innere Heimat und Geborgenheit. Obwohl es in diesem Traum deutlich gezeigt wurde, erkannte ich nicht, dass die Nähe zu Babaji nicht örtlich aufzufassen sei, sondern als Zustand. Es wurde mir zwar gezeigt, dass Babaji eins mit dem göttlichen Allbewusstsein sei, jenseits einer Ich-Du Beziehung, doch war mir dies noch zu fremd, als dass es Eingang in mein Bewusstsein gefunden hätte. Es war nur ein Schlagwort, das ich gern in den Yogastunden akzeptierte, aber es war nichts, das in mir eine innere Resonanz auslöste. So war für mich Babaji nach wie vor göttlich, jedoch Person. Dennoch begriff ich die Traumbotschaft zumindest so weit, um sie als eine Aufforderung zu sehen die Menschen lieben zu lernen. Nur dann könne ich einmal wieder örtlich mit Babaji in einer Gemeinschaft der Yogis vereint sein, so dachte ich damals. Ich machte mich in dieser Richtung auf den Weg und es war ein weiter Weg, viel weiter als ich damals ahnte. Ein kleiner Traum jener Zeit zeigte mir was noch auf mich wartete:

Der Traum zeigte mir nicht nur meinen Seelenzustand und meine Aufgaben. Es war noch eine weitere Botschaft in dem Traum enthalten: Yoga ist keine Romantik, sondern harte Arbeit.