"An den Türmen des lernenden Schweigens"

Guru Ananda. ( Juli 1976 )

Es ist ein transzendenter Traum, den ich in Worte zu fassen versuche.

Ich befinde mich auf einem Strand, mein Blick gleitet über das weite Meer. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Neben mir nehme ich einen jungen, mir unbekannten Mann wahr, der ein sympathisches Aussehen hat. Er hat ein Körbchen bei sich, in dem sich 2 Tontäfelchen und Griffeln befinden. Er schweigt und meine Versuche, mit ihm in Kontakt zu kommen, enden damit, dass er mir zu verstehen gibt, dass auch ich schweigen soll. Ich füge mich also und harre der Dinge, die da kommen werden. Ich weiß nur, dass es sich um einen transzendenten Traum handeln muss und folge dem jungen Mann durch die Dünen, die mich an die Ostsee erinnern. Nachdem wir eine zeitlang gegangen sind, kommen wir zu einem großen, breiten, turmartigen Gebäude. Ich blicke an ihm empor und sehe Terrassen, die sich zum Meer hin erstreckten.

Der junge Mann, dessen Name mir auch im weiteren Traumgeschehen unbekannt bleiben sollte, zeigt mir an, dass wir dieses Gebäude betreten werden. Ich spreche noch schnell ein Gebet, in der Hoffnung, dass es sich um eine gute Ebene handeln würde. Das Tor zu dem Gebäude öffnet sich lautlos, und vor mir steht ein etwa 4o bis 5o-jähriger Mann mit einem sehr angenehmen Äußeren. Er trägt eine Kutte aus smaragdgrünem Samt. Auch er gibt mir zu verstehen, dass ich schweigen soll. Der junge Mann ist inzwischen verschwunden und ich stehe etwas ratlos vor dem Mann. Dieser scheint mich jedoch zu verstehen, nimmt ein Tontäfelchen und schreibt mit einem Griffel darauf:

"Du befindest dich in den Türmen des lernenden Schweigens. Wenn du nur ein einziges Wort sprichst oder auch nur ein "Ah" vor Bewunderung sagst, entschwindet dir alles!“

„Wir haben dich eingeladen und dieser junge Mann ohne Namen - wir sind hier alle namenlos - wird dich führen. Vertraue dich ihm an. Der Ort, an dem du dich befindest, ist gut, also fürchte dich nicht!“

Ich drehe mich um und hinter mir steht der junge Mann, der mich vorher begleitet hatte, nur trägt auch er jetzt eine smaragdgrüne Kutte. Er übergibt dem älteren Mönch etwas aus dem Körbchen und dieser zeigt sich sehr erfreut darüber. Der junge Mann küsst ihm das Gewand und da ich wieder nicht weiß, was ich machen soll, verbeuge ich mich. Das kann auf keinen Fall ein Fehler sein. Der ältere Mann mit der gütigen Ausstrahlung übergibt mir schweigend eine Kette und schreibt wieder auf das Tontäfelchen: "Diese Kette ist dir nur geborgt. Es sind die 72 Gottesnamen, die du mit der Zeit vielleicht verstehen wirst!“

Ich verbeug mich wortlos vor ihm. Wieder schreibt er etwas auf die Tafel, die er dem jungen Führer gibt, dem ich nun folge. Der Boden ist mit Teppichen ausgelegt, so dass man die Schritte nicht hören kann. Wir gelangen zu einem Lift, der innen sehr gut ausgestattet ist. Er übergibt mir Socken, die ich anziehe.

In dem Lift befindet sich ein Sitz, auf dem ich mich niederlasse. An der Wand sind eine Unmenge von Knöpfen in den verschiedensten Farben. Er betätigt einen Knopf. Nach einer Weile hält der Lift und wir verlassen ihn.

Es öffnet sich eine Tür zu einem runden, wunderbar ausgestatteten Raum. Es sind viele Bücher in dem Raum. Weiters sitzt da ein Mann, ebenfalls in grüner Samtkutte, an einem Schreibtisch. Als er den Schüler sieht, steht er auf und dieser verneigt sich tief vor ihm. Der Mann deutet mir, nichts zu sprechen, aber ich habe ohnehin nicht die Absicht zu sprechen.

Er schreibt auf eine Tafel: "Der Schüler wird dir alles zeigen, aber gib keinen Laut von dir.''

Hiermit sind wir verabschiedet und wir gehen zum Lift zurück. Nach einer kurzen Fahrt, ich kann nicht sagen wie viel Stockwerke es waren, kommen wir in einen riesengroßen Raum. Dieser ist rund und es befinden sich viele, viele Bücher darin. Auch eine größere Anzahl von Menschen ist hier. Ein Mönch kommt auf mich zu und überreicht mir eine Art Schal, den ich mir umhänge. Die Leute die sich hier aufhalten, sind zum Teil mit der grünen Kutte, zum Teil mit dem Umhang bekleidet, den auch ich trage. Jeder hat auch eine Kette mit sich. Das kann ich ganz genau erkennen. Die Menschen, die sich in diesem Studierraum befinden, lernen aus den Büchern.

Ich setzte mich nieder und mein Führer verlässt mich, kehrt jedoch nach kurzer Zeit mit Büchern zurück, die mich an alte tibetische Schriften erinnern. Ich fang an zu blättern und schreibe dann auf mein Täfelchen, das ich inzwischen erhalten habe, dass ich nichts von dem Geschriebenen verstehen kann. Er schreibt auf seine Tafel, dass ich mich nicht erinnern könne und dass er mir etwas anderes bringen werde. Sogleich war das Geschriebene auch schon verloschen. Nun bringt er mir den Koran, später den Talmud und schließlich die Bibel, über die ich sehr froh bin. Er schlägt sie auf und zeigt auf die Stelle:

"Was du dem Geringsten tust, das tust du mir“.

Er deutet mir, dass ich mir diese Stelle abschreiben soll.

Während ich schreibe, verschwindet das soeben Geschriebene auch schon wieder. Er schreibt auf seine Tafel:

"Hier verschwindet jede Schrift, das sollst du dir einprägen!“

Seine Art war nicht übermäßig freundlich, aber auch nicht unhöflich. Wir kehren zum Lift zurück und dieser bringt uns zu den terassenähnlichen Gärten, die ich schon von außen gesehen habe.

Der Boden ist hier wie mit lauter Moos bedeckt und ich sehe viele Menschen, auch Frauen darunter, die einen ähnlichen Umhang wie ich tragen. Die Mehrzahl der Anwesenden sind jedoch junge Mönche in ihren grünen Kutten. Die Luft ist herrlich und der Blick geht auf das Meer. Blumen sind keine hier, obwohl ich welche erwartet habe.

Wir wandern ein wenig herum, ich getraue mich aber niemanden anzusprechen. Nach einiger Zeit deutet er mir, dass wir wieder gehen. Ob wir nur weiter hinauf oder hinunter gefahren sind, kann ich nicht sagen. Auf alle Fälle stehen wir bald vor einer Tür, über der etwas für mich Unverständliches geschrieben steht. Es ist ein Hörsaal, der wieder rund ist. An den Wänden befinden sich Tafeln. Wieder ist es ganz still hier. Er führt mich zu einer Bank mit der Nummer 17 und ich setze mich. Er setzt sich auch. Neben mir sitzt ein Asiate. In dieser Bank mit der Nummer 17 sitzen all jene, die ein Tuch umhängen haben.

Es kommt nun der schon bekannte strahlende Mönch mit mehreren jungen Schülern von oben herab. Die Anwesenden verneigen sich vor ihnen und auch ich verbeuge mich. Die Tafeln sind in Sektoren unterteilt und er und die jungen Mönche beginnen auf der Tafel etwas zu schreiben. Für mich sind das alles Hyroglyphen. Da schreibt mir mein Führer auf, dass ich mein Täfelchen vorbereiten solle und endlich sehe ich eine deutsche Schrift. Sie wird von einer Frau geschrieben, die ebenfalls ein grünes Samtgewand mit einer Kapuze trägt. Der Inhalt des Geschriebenen war:

"Die Neulinge sollen über die Kette, die die 72 Gottesnamen enthält, wenigstens soweit meditieren lernen, dass sie die Gottesnamen sprechen können, die ihnen bekannt sind.“

Danach tippt er mir wieder auf die Schulter und wir gehen weiter in einen anderen Hörsaal.

Auch in diesem Hörsaal gibt es eine Bank mit der Nummer 17. Sie ist schon zum Teil besetzt mit Zuhörern. In dem Saal befindet sich nur ein einziger Mönch, der aussieht wie Tolstoj. Vor ihm steht ein großes Becken, in das er seine Hände taucht. Von seinen Händen, die er uns nun entgegenstreckt, geht ein starker Duft aus. Der Schüler teilt mir durch seine Tafel mit, dass wir uns in der Lehrhalle der Düfte befinden und dass ich meine Augen schließen soll. Ich schließe die Augen und rieche den Duft, sonst nehme ich nichts wahr. Da schreibt mein Führer auf das Täfelchen:

"Es ist aussichtslos, du kannst noch nicht die Farbentsprechungen der Düfte sehen!“.

Er tippt mir wieder auf die Schulter zum Zeichen des Aufbruchs und wir verlassen den Raum.

Im nächsten Hörsaal, den wir betreten, sind nur sehr Wenige zu sehen. Die meisten sitzen in Padmasana. Ich sehe wieder eine Bank, die diesmal mit Samt überzogen ist. Ich setzte mich nieder und es kommt der liebenswürdige Mönch von oben herunter und schreibt auf:

"Wir haben euch eingeladen und ihr habt euch gut verhalten. Ihr werdet jetzt herunterfahren und die Kette abgeben, und merkt euch: Schweigen ist das Höchste."

Der Schüler, der mich begleitet, lässt mich wissen, dass ich mir dies gut aufschreiben soll. Ich schreibe alles wortwörtlich ab, doch schon ist es wieder verschwunden.

Ich schreibe daher: "Wie soll ich mir etwas merken, wenn es sofort abgelöscht ist?"

Er schreibt: "Kein Wort mehr!"

Er tippt mir wieder auf die Schulter und wir kehren zum Aufzug zurück. Wir kommen wieder zu dem Ort, an dem mir der liebenswürdige Mönch die Kette übergeben hat. Und da ist er auch schon und lächelt mich freundlich an. Er schreibt mir auf, dass ich ihm seine Kette zurückgeben müsse und dass sie sich einmal in etwas verwandeln würde, doch dazu müsse ich noch viel lernen.

Ich schreibe auf meine Tafel: "Es hat mir sehr gut gefallen, aber ich würde gerne etwas sprechen." Doch er meint darauf: „Das wäre ganz schlecht. Bis jetzt hast du nichts gesprochen. Sprich weiter nichts, es wird gleich zu Ende sein.“ Da nimmt er mir sanft die Kette aus den Händen und alles verschwindet und ich wache auf.