"Ebene der Märchen: Eine Silbertanne, Eichhörnchen und Zwerge"

Traum, 3.1.1977
 

Es erscheint mein Lehrer in dem smaragdgrünen Samtgewand. Er lächelt mir zu, verbindet mich wieder mit sich durch eine goldene, daumendicke Schnur, die er einige Male um mein Handgelenk wickelt. Zum ersten Mal sagt er etwas. Mit wohlklingender Stimme spricht er: "Heute gehen wir zu einer Ebene, auf der man sprechen darf." Ich zögere noch zu reden und worauf er sagt: "Und das ist die Ebene der jüngeren Brüder."

Da frage ich: "Und was lerne ich bitte dort?"

Da sagt er: "Da lernst du: Nicht haben wollen!"

Darüber bin ich erschrocken und da ich sprechen darf, sage ich: „Bitte, ich will ja nichts haben, ich bin ja kein Egoist, wieso ‚nicht haben wollen’?"

Er antwortet: „nun ja, wir werden es gleich sehen. Du denkst dir immer, wenn du was siehst: ‚Das möcht' ich angreifen, das möchte ich haben’, aber hier ist das nicht möglich. Hier in der Transzendenz kannst du nichts besitzen! Um das zu lernen besuchen wir diese Ebene.“

Ich bin ein bisschen gekränkt oder beleidigt. Er runzelt die Stirne. Da versuche ich meine Emotionen besser zu kontrollieren.

Wir machen uns auf den Weg. Wir gehen einen Weg entlang und bald breitet sich vor uns ein Wald aus. Da sagt er mir: "Das sind Silbertannen."

Ich darauf: „Ja wirklich, die sind silbrig, sind die aber schön und so hoch. Ich freue mich schon sehr darauf.“

Nicht lang, da stehen wir unter einem Baum und er sagt: "Pass jetzt auf, es wird gleich ein jüngerer Bruder kommen".

Ich schau den Baum hinauf und kann es kaum fassen, so gewaltig hoch ist er. Neben ihm weitere Silbertannen, hell leuchtend, ohne dass Schnee darauf liegt. Es sieht aus als wären sie aus Silber. So etwas habe ich noch nie gesehen, nicht einmal in einem Traum. Da kommt ein Eichhörnchen den Stamm lustig runter kletternd und springend. Es ist so groß wie ein Hase. Ich bin verblüfft, denn auch das Eichhörnchen ist silbern. Das Eichhörnchen mit seinem glänzenden Fell schaut zu meinem Lehrer an und da sagt er: „Ich grüße dich, mein jüngerer Bruder, was hast du mir mitgebracht?“

Da nimmt das Eichhörnchen einen großen Zapfen und gibt es ihm. Und dann springt es ihm, für mich unerwartet, auf die Schulter. Es bleibt dort ruhig sitzen. Wir bleiben ruhig stehen und er nimmt den Zapfen, bricht ihn entzwei, und gibt mir in die eine Hand, die nicht angebunden ist, einige schwarze Samen. Die schau ich an und weiß nicht, was ich damit tun soll.

Er sieht, dass ich nicht weiß, was ich damit machen soll und sagt zu mir: "Streu das einmal auf einen leeren Fleck, da wirst du sehen, wie schnell hier eine Silbertanne wächst."

Also, ich streu einige Samen aus und warte. Es dauert nicht lange, da wächst vor mir eine Silbertanne und bald erhebt sich vor meinen Augen fast unübersehbar hoch.

Wir gehen weiter, mein Lehrer spricht nichts und ich schweige auch, in der Annahme, dass er es nicht liebt, wenn zu viel geredet wird. Das Eichhörnchen sitzt nach wie vor auf seinen Schultern. Während wir gehen schau ich hie und da zum Eichhörnchen – es hat so schöne Augen. Ist das schön, dieses Eichhörnchen mit seinem Silberfell und mit seinem buschigen Schwanz, es glitzert geradezu.

Da sagt mein Begleiter: "Siehst du, hast schon wieder den Gedanken gehabt: möcht ich haben, möcht ich streicheln."

Antworte ich: "Na ja, das möcht ich schon."

Sagt er: "Siehst du, deshalb bist du heute auf diese Ebene geführt worden. Du wirst noch öfters von mir auf Ebenen geführt werden, in welchen du dir das abgewöhnen musst; alles hier kannst du nur sehen und kannst daraus lernen oder dich einfach daran erfreuen.

„Das finde ich kränkend“, sage ich, „was soll dabei sein, wenn ich das Eichhörnchen anschaue und streichle?“

Er antwortet nicht und wir gehen weiter. Unterwegs springt das Eichhörnchen von seiner Schulter und klettert auf einen Baum und war nicht mehr zu sehen.

Im nächsten Augenblick kommt ein Hirsch auf uns zu! Der ist majestätisch groß, mit prächtigem Geweih. Ansonsten sieht er genau so aus, wie wir es auf der Erde. Da ist nichts silbrig an ihm. Weder in einem Zoo noch auf einem Bild habe ich einen solch schönen Hirsch gesehen.

Er kommt her und mein Yogibegleiter kniet er vor ihm nieder und begrüßt ihn und sagt: "Ich grüße dich mein jüngerer Bruder. Wie geht es dir?"

Der Hirsch nickt, als ob er jedes Wort verstehen würde und ich gewinne den Eindruck, als ob er innerlich lacht. Ich weiß nicht, ich habe ein Lachen gefühlt, könnte auch sein, dass der Yogi innerlich gelacht hat.

Der Hirsch wendet sich wieder und verschwindet im Wald.

Vom Folgenden weiß ich leider nur Bruchstücke.

Wir gehen weiter und der Lehrer sagt zu mir: „Siehst du, auf dieser Ebene sind alle Märchen, die du gelesen hast, gleichsam wirklich. Niemals hätte ein Christian Andersen, oder ein anderer Dichter schreiben können, wenn das nicht in dieser Ebene existieren würde. Das wollte ich dir zeigen.“

Ich darauf: „Das ist wunderbar, das ist herrlich“, und dann sage ich, „nun, und wo sind denn die Zwerge?“

Sagt er: „Da werden wir gleich hinkommen, nur müssen wir noch sehr lange gehen, die wohnen sehr weit, weil die Menschen sie vertrieben haben.“ Und wir gehen und gehen. Da wurde ich durch ein Licht im Vorzimmer gestört und der Traum ist aus.